Ende ohne Schrecken: Deutschland scheidet aus und Löw nimmt seinen Hut

Joachim Löw spielt einen Ball mit dem Fuß

Deutschland verliert gegen England, scheidet im Achtelfinale der Europameisterschaft aus und die Ära Jogi Löw ist nach 15 Jahren Geschichte. Das muss aufgearbeitet werden. Sowohl das Turnier als auch das größere Thema.

Fangen wir mit der EURO 2020 an. Nach vier Spielen steht unterm Strich leider ein weiteres enttäuschendes Turnier. Das Spiel der deutschen Mannschaft wirkte statisch, uninspiriert und unflexibel. In der Offensive präsentierte man sich schlichtweg zu harmlos. Ein Mal lediglich, im zweiten Gruppenspiel gegen Portugal, kam die Maschinerie ins Rollen. Gegner, die selbst Fußball spielen wollten, so hieß es immer mal wieder, würden der Mannschaft besser liegen. Doch erstens kann man wohl kaum behaupten, dass die Franzosen oder die Engländer vor heimischem Publikum dies nicht wollten und zweitens muss man mit Titelambitionen eben auch gegen defensiv ausgerichtete Teams wie Ungarn Wege zum Torabschluss finden.

Beim gestrigen Spiel in Wembley hatte man nach zehn starken Minuten erneut das Gefühl, die deutsche Mannschaft habe den Engländern komplett das Feld überlassen. Wer nicht aktiv Fußball spielt, kann auch keine Tore erzielen, so einfach ist das. Eine eindeutige Spielidee ist seit geraumer Zeit im DFB-Team nicht mehr zu erkennen.

Bayern-Block bleibt unter seinen Möglichkeiten

Natürlich kommt man nicht umhin, über Personalentscheidungen des Trainers zu sprechen. Bei all der Schelte, die nach dem Ungarn-Spiel vor allem auf Leroy Sané eingeprasselt ist, wird vor allem vergessen, dass auch die so groß angepriesene Rückhol-Aktion von Thomas Müller komplett verpufft ist. Von den magischen Kräften, die so mancher Berichterstatter dem Bayern gelegentlich auf den schlanken Leib zu schreiben scheint, war in keinem Spiel etwas zu sehen. Wir reden hier nicht von der gestern vergebenen Großchance. Sondern davon, dass ein Platz in der Offensive von einem Veteranen geblockt wird, der für das deutsche Offensivspiel keinerlei erkennbaren Mehrwert bringt – und seien die vielzitierten kommunikativen Fähigkeiten von „Radio Müller“ noch so wertvoll für das Teamgefüge.

Dies ist kein nachträgliches Plädoyer gegen die Rückholaktion von Müller. Doch wenn man spielt, wie der 31-Jährige in diesem Turnier, dann sollte ein Trainer reagieren und anderen Spielern die Chance geben. Generell muss man festhalten, dass der Bayern-Block aus Müller, Gnabry, Kimmich, Sané und teilweise auch Goretzka im Verein offenbar deutlich besser zurechtkommt, als in der Nationalmannschaft. Liegt es daran, dass sie beim FCB einen Robert Lewandowski vor sich haben, der sie mitzieht und der klare Mittelpunkt im Angriff ist? Oder werden sie einfach besser eingesetzt als bei der Europameisterschaft.

Shootingstar Kai Havertz ließ immer mal wieder erahnen, wozu er fähig ist – damit sind nicht seine beiden Abstauber-Tore gemeint. Insgesamt wirkte der Chelsea-Stürmer allerdings zu unsicher und irgendwie seltsam gehemmt. Vergleicht man seine Körpersprache beispielsweise mit denen der Schweizer Stürmer Gavranovic und Seferovic am Vortag – wie man ihnen die Leidenschaft anmerkte, wie aggressiv sie um die Bälle gekämpft haben, mit welchem Willen sie die Tore erzielen wollten -, so glaubt man kaum, dass alle drei im gleichen Turnier spielten.

Die Zentrale sollten mit Toni Kroos und Ilkay Gündogan zwei weitere Weltklasse-Spieler besetzen. Offenbar hatten beide in sämtlichen Spielen die taktische Order, jeden Angriff zu beruhigen, das Tempo meistens zu verschleppen und im Zweifel lieber einmal auf den Ball zu treten, anstatt einen blitzartigen Gegenangriff einzuleiten. Dieser auf Ballbesitz ausgerichtete Stil erinnert an die WM 2018 – und dies ist keine gute Erinnerung. Speziell Kroos wirkte darüber hinaus derart zweikampfschwach, dass es fast wehtat. Dennoch genoss der Spieler von Real Madrid bei Löw Unantastbarkeit.

Löw offenbar kein Volland-Fan

Nicht so Kevin Volland. Viele Medien, darunter kicker-freunde.de, haben beide Daumen nach oben gereckt, als Löw über seinen Schatten sprang, allein Leistung bewertete und den bulligen Angreifer nominierte. Endlich wieder ein Kandidat mit robuster Präsenz, der sich auch im Strafraum wohlfühlt. Doch Volland spielte nicht. Als wollte Löw allen Kritikern extra noch eine lange Nase drehen, wechselte er Volland in der Schlussphase des Frankreich-Spiels für Robin Gosens ein, ließ ihn dann jedoch positionsgetreu auf dessen Platz des Linksverteidigers spielen, anstatt ihn in den Fünfmeterraum zu schicken. Nach dem Rückstand gegen England brachte Löw anstatt Volland mit Emre Can lieber einen defensiven Stabilisator.

Klar, große Fußballlehrer sehen manchmal Dinge, die Otto Normalfußballgucker nicht sieht. Sie haben viel mehr Verständnis von der Materie, haben ihre eigenen Ideen und tragen letztendlich auch die Verantwortung. So lange die Ziele erreicht werden, ist es also völlig legitim, Entscheidungen zu treffen, die nicht jeder nachvollziehen kann. Doch wirkte Löws Gebaren mit fortschreitender Amtsdauer zunehmend konfus, stur und nicht mehr nachvollziehbar.

(Foto: AFP)

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