Nach Dortmunds Achtelfinalsieg: Wieder Ärger um den Videobeweis

Tobias Stieler VAR (AFP)

Paderborns Trainer Steffen Baumgart war nicht zu bremsen. „Eine absolute Frechheit“ sei es gewesen, dass Schiedsrichter Tobias Stieler sich die entscheidende Szene nicht nochmal angeschaut habe. Baumgarts Ärger ist verständlich, denn die Tatsachenentscheidung war mindestens fragwürdig und die Anwendung des VAR im Profifußball ist definitiv undurchsichtig.

Der an Temperament ohnehin nicht arme Baumgart steigerte sich nach dem intensiven Match, das sein SC Paderborn nach Verlängerung mit 2:3 gegen den haushohen Favoriten aus Dortmund verloren hatte, komplett in seine Wutrede hinein. Er tat dies nicht, wie der Spiegel suggeriert, weil er seine tapferen Mannen 120 Netto-Minuten lang bei Eiseskälte im kurzärmeligen Shirt gecoacht hatte, sondern weil er Recht hatte.

Die Spiegel-Autoren Bark und Krämer ziehen Baumgarts Interview ein Stück weit ins Lächerliche, indem sie den saloppen Ausspruch „Ich bin keine Aktiengesellschaft“ breittreten. Dieselben oberlehrerhaften Maßstäbe hätten sie aber ruhig bei ihrem eigenen Text ansetzen dürfen, denn die Argumentation pro Stielers Entscheidung hält nicht Stand.

So zitieren die Autoren zu Erling Haalands Abseitsstellung das DFB-Regelwerk: „Ein Spieler verschafft sich keinen Vorteil aus einer Abseitsstellung, wenn er den Ball von einem gegnerischen Spieler erhält, der den Ball absichtlich spielt.“ Wenn also Paderborns Ingelsson mit der Fußspitze den Ball berührt habe, den Dortmunds Delaney auf seinen im Abseits stehenden Kollegen gespielt hatte, so liege kein Abseits vor, erklären die Spiegelschreiber. Die vermeintliche Berührung konnte zwar auch in der Zeitlupe nicht nachgewiesen werden, doch Absicht sei es in jedem Fall gewesen.

Diese Einordnung verwirrt. Denn zum einen hat Haaland den Ball auf keinen Fall von seinem Gegenspieler „erhalten“. Der Gegenspieler versuchte den Erhalt vielmehr zu verhindern – was ihm offensichtlich nicht gelang. Somit kann also auch von „Absicht“ keine Rede sein. Die zitierte Regel soll Fälle abdecken, in denen ein Verteidiger den Ball beispielsweise zum eigenen Torwart zurückspielt. Dabei darf es einem gegnerischen Stürmer, der diesen Pass abfängt, nicht zum Nachteil gereichen, wenn er im Abseits steht. Doch ein solcher Fall ist mit dem gestrigen Mitnichten zu vergleichen.

Anwendung des Videobeweises zunehmend willkürlich

Delaney spielte auf den im Abseits stehenden Haaland und kein Paderborner konnte das Zuspiel unterbinden – ein klassisches Abseits. Würde man jede Ballberührung als neue Spielsituation ansehen, so hätten im Profifußball schon haufenweise aberkannte Tore zählen müssen. Denn dass zwischen dem Abspiel und der Ankunft des Balls beim Stürmer noch Abwehrspieler versuchen, zu klären, kommt oft vor. Umso ärgerlicher für Paderborn, dass Schiedsrichter Stieler zwar eine Menge Funk aus Köln auf sein Ohr bekam, von der Möglichkeit des Videobeweises jedoch keinen Gebrauch machen wollte. Das, so Baumgart, hätte er sich wenigstens gewünscht. Tatsächlich wird es zunehmend unübersichtlich, in welchen Situationen die Unparteiischen zum Monitor laufen und in welchen nicht. Was bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland hervorragend funktioniert hatte, wirkt im deutschen Profifußball zunehmend willkürlich.

(Foto: AFP)

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