Zum Tod von Gerd Müller: Trauer um den Bomber der Nation
Die Fußballwelt trauert um Gerd Müller. Der Rekordtorschütze der Bundesliga und langjährige Rekordhalter der Nationalmannschaft ist im Alter von 75 Jahren gestorben. Eine persönliche Widmung unseres Autors.
Das größte Kompliment ist oftmals das eines Gegners, denn es zeugt von Anerkennung. So auch im Falle Günter Netzers, der sich mit seiner Borussia aus Mönchengladbach in den 70er Jahren regelmäßig mit Gerd Müllers Bayern um die Meisterschaft gestritten hat. In einer NDR-Dokumentation, die eigentlich den Aufstieg der Fohlenelf thematisiert, gibt es einen O-Ton von Netzer, in dem es eigentlich um dessen stürmenden Kollegen Jupp Heynckes geht. Doch neben Anerkennung für Heynckes hört man aus Netzers Worten mindestens genauso starke Ehrfurcht vor dem Pendant aus dem Süden heraus: „Ich sage heute noch: Der Jupp Heynckes war besser als Gerd Müller. Gerd Müller allerdings war ein Phänomen. Und gegen Phänomene kann man nicht gewinnen“.
So fühlt sich das tatsächlich an, wenn man Gerd Müller als Fußballfan aufgrund zu später Geburt verpasst hat: Irgendwie war der Mann ein Phänomen, unerreichbar, niemals wird mehr ein Stürmer mit derartigem Torriecher auf der Bildfläche erscheinen – so häufig genug der Tenor von Zeitzeugen. Da hilft es oftmals auch nicht, wenn man versucht, zu argumentieren. Immer lässt sich irgendwie eine Gegenthese formulieren. „Miroslav Klose hat doch noch mehr Tore in der Nationalmannschaft geschossen“ – aber er hat dafür viel mehr Spiele gebraucht. „Lewandowski hat den 40-Tore-Rekord überboten“ – aber unter dessen 41 Treffern waren auch acht Elfmeter.
Wer allzu oft „Papas Geschichten von früher“ hört, der entwickelt ja manchmal einen instinktiven Gegenreflex. Und so habe ich mich hin und wieder dabei ertappt, wie ich älteren Gesprächspartnern gegenüber folgende Meinung vertreten habe: „Heutzutage wäre Müller nicht mehr so erfolgreich. Er müsste sich viel zu viele Bälle an der Mittellinie holen, könnte es sich nicht leisten, ständig an der Kante zum Abseits zu lauern.“ In der Regel kommt folgende Antwort: „Wieso? Das Gespür für die Situation, die Abschlussqualitäten, der Torriecher – all das ist universell und wäre heute genauso gefragt, wie damals.“ Man könnte auch den großen Pelé zitieren. Der antwortete mal auf die Frage, ob er unter heutigen Bedingungen eine ähnliche Laufbahn hingelegt hätte : „Wenn ich unter heutigen Bedingungen hätte trainieren können, dann wäre ich noch viel besser gewesen“.
Letzten Endes führt die Diskussion nirgendwohin. Unter dem Strich steht, dass Gerd Müller eine einzigartige Begabung hatte und die Welt froh sein kann, dass das Schicksal Wunderkind und Instrument zusammengeführt hat. Dass Gerd Müller als kleiner Bub aus Nördlingen eines Tages den Weg in einen Strafraum gefunden hat, ist eine ebenso glückliche Fügung, wie dass Picasso einen Pinsel in die Hand nahm oder Paganini eine Geige. Wer selbst dabei war, darf sich glücklich schätzen. Alle anderen freuen sich, dass Bewegtbilder bereits aufgenommen werden konnten.
Gerd Müller schien niemals zu zweifeln
Gerd Müllers Tore waren selten ästhetisch ansprechend. „Kleines dickes Müller“ zeichnete sich nicht durch eine besondere Körperlichkeit aus. Er hatte keine geniale Technik und sein Schuss schien nicht wuchtiger als andere. Aber er war eben immer da, wenn auch nur die kleinste Möglichkeit bestand, ein Tor zu erzielen. Und dann wusste er instinktiv, was dafür zu tun ist. Welcher Körperteil wie angeordnet werden musste, um den Ball entscheidend über die Torlinie zu bugsieren. In den allermeisten Fällen musste dies in Sekundenbruchteilen entschieden werden. Doch eines der meistgehörten Zitate vom Meister selbst lautet: „Wenn’s denkst, ist eh zu spät“.
Gerd Müller schien nie zu grübeln, zu zweifeln oder zu zaudern. Er machte den Ball einfach rein. Als „das typische Müller-Tor“ wird oft sein gleichzeitig wichtigster Treffer genannt: Das entscheidende 2:1 im WM-Finale von 1974 gegen die Niederländer um Johan Cruyff. Die Hereingabe von Rainer Bonhof kam zwar nicht ideal, doch das schien Müller egal zu sein. Eine kurze Annahme, eine Drehung und ein trockener Flachschuss – alles eine fließende Bewegung. Weder Manndecker noch Torwart konnten dem etwas entgegenbringen. Kein Meisterwerk und doch formvollendet. So, wie Müller eben spielte, und wie er weltweit anerkannt war. Der „Bomber der Nation“ hatte zugeschlagen, da war die spielerisch höher veranlagte Elftal machtlos.
Kicker-Freunde trauert um den vielleicht besten Stürmer aller Zeiten.
(Foto: AFP)