Hertha BSC Berlin – Saisonrückblick 2019/20

Spieler der TSG 1899 Hoffenheim hilft einem Spieler von Hertha BSC

Vieles kann man der Hertha nachsagen, aber nicht, dass die Spielzeit 2019/20 langweilig gewesen wäre. Der Klub, dem die Spötter gerne nachsagen, er könne trotz Hauptstadt-Flair eine gewisse Biederkeit und Durchschnittlichkeit nicht ablegen, entwickelte sich zu Fußball-Deutschlands größtem Schlagzeilenproduzenten. Vieles davon spielte sich allerdings abseits des Rasens ab und begann schon vor dem ersten Spieltag. Trotz solider Platzierungen in den vorausgegangenen Jahren hatte man Vereinsikone Pal Dardai auf dem Trainerstuhl durch Ante Covic ersetzt, der ebenfalls reichlich Stallgeruch mitbrachte. Außerdem stieg Investor Lars Windhorst ein und brachte reichlich Visionen und Geld mit. Nachdem der Saisonstart unter Covic misslang, sprang der Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann ein, den Windhorst zuvor für den Aufsichtsrat nominiert hatte.

Dieser installierte nicht nur einen komplett neuen „Staff“, sondern ging auch mit den Windhorst-Millionen auf große Einkaufstour. Die Legende vom „Big City Club“ war geboren, doch statt Glamour hinterließ Klinsmann ein Trümmerfeld, als er nach wenigen Wochen im Amt überraschend hinwarf (s.u.). In der Corona-Pause sorgte dann vor allem ein veröffentlichtes Video von Salomon Kalou für Gesprächsstoff, in dem dieser sämtliche Verhaltensregeln im Zusammenhang mit der Pandemie missachtete und dafür suspendiert wurde. Dass der neu verpflichtete Trainer Bruno Labbadia die Mannschaft letztlich ganz unaufgeregt auf Platz 10 führte, war sportlich das positivste an dieser Saison.

Gewinner der Saison

Herthas Transfer-Offensive war DAS Gesprächsthema in der Winterpause. Von Götze bis hin zu Xhaka wurden ständig neue prominente Namen gehandelt. Einkäufer Klinsmann erklärte nur beharrlich, es sei doch „ganz normal, dass jetzt solche Namen gehandelt werden“, konnte jedoch lange Zeit keinen Vollzug melden. Am Ende wurden rund 60 Millionen Euro bewegt und damit Krzysztof Piatek vom AC Milan, Lucas Tousart (erst für die kommende Saison) von Olympique Lyon, Santiago Ascacibar vom VFB Stuttgart und Matheus Cunha von RB Leipzig verpflichtet. Vor allem letzterer wandelte die in vielerlei Hinsicht schwierige Situation in eine positive um. Seine in Leipzig bereits angedeutete Spielfreude blühte in Berlin noch weiter auf. Mit entscheidenden Toren und Vorlagen wurde er des Öfteren zum Matchwinner. In einer ansonsten nicht von Filigrantechnikern überhäuften Mannschaft sorgte Cunha zumeist für die spielerischen Highlights. Bleibt er weiter auf diesem Kurs, könnte er in Berlin in die Fußstapfen von Ikonen wie Marcelinho oder Raffael treten.

Verlierer der Saison

In den knapp drei Monaten, die Jürgen Klinsmann auf der Trainerbank von Hertha saß, dürfte er sich endgültig für sämtliche professionellen Vereine untragbar gemacht haben – nicht nur in Deutschland, sondern international. Interimsweise angetreten mit dem ihm eigenen Aufbruchsgeist gab der Schwabe direkt zu Protokoll, bereits als kleiner Bub in Hertha-Bettwäsche geschlafen zu haben.

Für die ersten Schmunzler sorgte er bei seinem ersten Punktspiel, als er von Fotografen umringt seinerseits ein Smartphone mit Adidas-Hülle schwenkte, dem Hauptkonkurrenten von Herthas Ausrüster Nike. Auch sein komplett neu implementierter Trainerstab verursachte Diskussionen, beinhaltete dieser doch das rätselhafte Amt des „Performance Managers“ Arne Friedrich sowie die Ausleihe von DFB-Torwarttrainer Andreas Köpke, was möglicherweise Auswirkungen auf die Rolle von Klinsmanns torhütendem Sohn Jonathan haben sollte.

Was die Punktausbeute und die spielerische Attraktivität angeht, waren die Klinsmann-Monate eher unspektakulär. Anders seine Einkaufstour im Winter sowie sein Abgang via Facebook-Post. Offen kritisierte Klinsmann dort verschiedene Hertha-Angestellte, allen voran Manager Michael Preetz, mit dem er auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen sei. Ein kryptischer Livechat wenige Tage später machte das ganze nicht verständlicher. Er sei „das englische Modell“ gewohnt, so Klinsmann, in dem ein Trainer „Team Manager“ heiße und dementsprechend mehr Entscheidungsgewalt habe – auch über Spielerkäufe. Klammert man mal aus, dass Klinsmann niemals als Cheftrainer in England gearbeitet hat, so denke man dennoch an die Millionen Arbeitnehmer, die in ihrem Job damit leben müssen, den Gestaltungsspielraum mit Kollegen oder gar Vorgesetzten zu teilen. Dann rufe man sich Klinsmanns Worte von der Hertha-Zuneigung seit Kindheitstagen in Erinnerung. Am Ende dieser Gleichung steht ein Gesamtkunstwerk des Scheiterns.

Den krönenden Abschluss desselben bildeten die „Tagebücher“, die kurz nach Klinsmanns Abgang auf angeblich mysteriöse Weise der Sport-Bild in die Hände fielen. Unter anderem gibt Klinsmann dort am laufenden Band Interna preis, brüskiert fast alle Spieler in einer großen Einzelkritik („kein Mehrwert“) – außer den von ihm verpflichteten – und nennt einen Abend auf dem Partyboot von Lars Windhorst das „Highlight des Trainingslagers“. Eine Lehrstunde des unseriösen Verhaltens.

Höhepunkt der Saison

Hertha kam unter Neu-Coach Labbadia bärenstark aus der Corona-Pause. Auf das 3:0 in Hoffenheim folgte am 27. Spieltag ein 4:0 im Derby gegen Union Berlin. Manch einer fragte sich laut, ob Hertha sogar nochmal an das internationale Geschäft würde anklopfen können. Kurz darauf ging jedoch die Puste aus und man trudelte im Liga-Mittelfeld über die Ziellinie.

Tiefpunkt der Saison

Der 23. Spieltag trieb jedem, der es mit der Hertha hält, tiefe Sorgenfalten auf die Stirn. Nach dem Klinsmann-Desaster und seinem Abgang in Nacht- und Nebelaktion stand der bisherige Co-Trainer Alexander Nouri interimsweise in der Verantwortung. Beim 0:5 im Heimspiel gegen den 1. FC Köln ließ das Team jede Ordnung und Disziplin vermissen. Wäre nicht bald noch eine weitere Zäsur gekommen, so wäre die Grenze nach unten offen gewesen.

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