Zur „Kroatien-Affäre“: Manuel Neuer singt zweifelhaftes Liedgut
Manuel Neuer singt und die deutsche Sportpresse hat ihre erste Füllung des Sommerlochs. Der Nationaltorwart wurde dabei gefilmt, wie er während seines Kroation-Urlaubs mit einigen Touristen und offensichtlich nach einigen Kaltgetränken ein Lied in der Landessprache schmetterte. Das Problem dabei: Es handelt sich um Musik eines einschlägig als rechtsextrem bekannten Sängers.
Die Frage, wie es denn zu bewerten sei, dass Neuer „Lijepa li si” von dem kroatischen Musiker Marko Perkovic singt, beschäftigt seither den deutschen Blätterwald – vor allem natürlich den digitalen. Während die einen eine unverzeihliche Verfehlung sehen und teilweise sogar Neuers Rücktritt aus der Nationalmannschaft fordern, mahnen die anderen zur Gelassenheit oder sind genervt von den vermeintlichen Scharfmachern, die ja nur den nächsten Skandal suchen und darüber hinaus nicht einmal die Privatsphäre des Torwarts respektieren. Eine komplizierte Gemengelage, in der die Orientierung schwerfällt.
Zum Hintergrund: Perkovic ist Sänger der Band Thompson. Thompson ist gleichzeitig der Spitzname des Sängers und der Name des Herstellers der Maschinenpistole, die er selbst während des Kroatienkriegs 1991 bis 1995 benutzt hat. Die Band gilt als faschistisch und ist in einigen Ländern bereits verboten.
Auch kroatische Nationalspieler singen Thompson-Songs
Nun kommen die Gäste der Strandbar, mit denen Manuel Neuer sich so zünftig amüsiert nicht rüber, wie beinharte Rassisten – sofern man dies überhaupt erkennen könnte. Vielmehr ist der Spaß an solcherlei Liedgut einem kulturellen Verständnis, einem Umgang mit sogenanntem Patriotismus und dem Blick auf die kriegerische Vergangenheit des eigenen Heimatlandes geschuldet, der sich nicht mit einer deutschen Sozialisation vergleichen lässt.
So kam auch vielerorts die kroatische Nationalmannschaft in die Kritik, als Spieler immer wieder ihre Siege zu Thompson-Songs feierten. „Lijepa li si” ist auch keiner der anstößigeren Lieder der Band. Der Text handelt von der Schönheit Kroatiens. Dabei bezieht er jedoch auch die Region Herceg-Bosna mit ein, die während des Kriegs auf bosnischem Staatsgebiet errichtet wurde. Das Gebiet wurde zum Schauplatz von Morden an Zivilisten und existiert heute nicht mehr.
Richtigstellung via Social Media nötig?
Das ist zugegebenermaßen problematisch. Bisherige Medienanfragen zu diesem Thema beantwortete Neuers Arbeitgeber, der FC Bayern, mit der Auskunft, der Torhüter wolle keinen Kommentar abgeben aber sei im übrigen des Kroatischen nicht mächtig. Man darf getrost glauben, dass Neuer nicht klar war, was er da singt. Auch wenn er den Urlaub mit seinem besten Freund und Torwarttrainer Toni Tapalovic verbrachte. Somit ist auch die Frage nach der verfehlten Vorbildfunktion obsolet. An einer Strand-Theke unter barbäuchigen Biertrinkern wähnt sich kein gutgläubiger Mensch direkt von Rassisten umgeben. Vergleiche mit dem „Erdogate“ von 2018 sind ebenso unangebracht.
Die einzige Frage, die im Raum steht, ist jene nach der Notwendigkeit einer Richtigstellung. Unter Garantie ist Neuer sofort von seinem Verein in Kenntnis über seinen Fauxpas gesetzt worden. Er wolle dem Boulevard nicht Folge leisten, hört man als Begründung für sein Schweigen. Einige Medienvertreter fordern auch, Neuers Privatsphäre müsse geschützt und respektiert werden.
Andere stellen sich die Frage: In einer Zeit, in der keine Minute ohne einen Tweet oder eine Urlaubs-Insta-Story eines Profifußballers vergeht: Wäre da nicht eine kurze Richtigstellung des Keepers nützlich gewesen. 280 Zeichen für das Seelenheil. Wenn das ein Spieler für sich ablehnt, ist dies sein Recht. Doch wo Otto-Normalbürger sicher sein kann, dass es nahezu keinen interessiert, welche Lieder er im Urlaub singt, geben Fußballstars diesen Zustand mit Unterzeichnung ihres ersten Profivertrags ab. Sie müssen sich nur überlegen, wie sie damit umgehen.